Herbstsymposium in Tirol

Herbstsymposium 2014
GLE

Ein persönlicher Rückblick von unserem Mitglied Dr. Simon Zangerle. Mit Fotogalerie.

Mir reicht´s! Unter diesem eindringlichen Titel versammelten sich von 3. bis 4. Oktober über 250 Freunde und Interessierte der GLE Österreich in der Salz- und Münzstadt Hall in Tirol. Gesalzen und einprägsam war nicht allein der Titel des Symposiums. In insgesamt fünf Plenarvorträgen und 17 Workshops erfuhren wir, was es heißt, sich personal und weniger zeitgeistig abzugrenzen. Von nicht selten maßlosen äußeren wie inneren Ansprüchen. Das machte Lust auf mehr, auf Eigenes, das die Stimmigkeit sucht und sich im besten Fall wiederfindet „wie ein Findling am Waldboden“ (Markus Angermayr). In seinem Eröffnungsvortrag skizzierte Angermayr sehr überzeugend die Prämissen unserer postmodernen Lebenswelt, in der uns vor allem eines suggeriert wird: Anything goes. Ein Versprechen, wie Angermayr zeigte, das nicht selten zu Überforderung, „Entbettung des Einzelnen“ und Selbstverlust führt.

In den Vorträgen folgten wir weiter der Spur zu jenem existentiellen Wendepunkt, an dem wir es spüren, nämlich dass es jetzt einfach mal genug ist, dass es mir reicht. „Halt! Das bin doch nicht ich!“ Ein Imperativ aus der Tiefe der Person, der dem vorausgehen kann, was Rilke angesichts eines Torsos des göttlichen Apollon erfahren und in einen Vers gebündelt hatte: Du musst dein Leben ändern. Ein lichter Moment, in dem ein noch nicht verwirklichtes Potential aufleuchtet. Eigene Möglichkeit, Möglichkeit des Eigenen, das ins Leben drängt. Ein kräftiger Impuls, der wach rüttelt und heranführt zur Entschiedenheit der Person.

Von dieser Stelle aus boten sich in den Vorträgen und Workshops vielfältige Ausblicke auf einen Lebensweg, der sich mehr der Stimmigkeit verschreibt: Lassen von den Dingen, sich selbst sein lassen und einkehren bei sich selbst. Wie sich zeigte, ausnahmslos sehr aktive und fordernde Unterfangen und dabei nur eine kleine Auswahl jener vielen Pflastersteine, die hier von den Vortragenden passiert wurden. Eigentlich auch altbewährte Pflastersteine, ähnlich wie die der Haller Altstadt. Aber was ist dafür notwendig und not-wendend zugleich, um vom Mir-Reichts-Moment in die Gelassenheit zu kommen? Ist es Kontemplation (etwa wie Martin Hötzer in seinem Workshop zeigte)? Einfach mal Atem holen (Martha Sulz)? Ist es Achtsamkeit (etwa: Manuela Steger)? Das eigene Gespür ernst nehmen und es verfeinern durch Besinnung (so wie Toni Nindl)? Oder: Die Offenheit für das Geheimnis des Seins (Heidegger). Die Worte der Vortragenden wiesen in dieselbe Spur, die eine Haltung notwendig macht: Inne-halten und schauen. Dann sehn wir schon (wie Franz Beckenbauer). Schauen und fühlen/spüren was sich zeigt. Es halten, aushalten, das alte Rad anhalten. Dass dieser Weg kein leichter ist, zeigte etwa auch Gerhard Stumm in seinem Plenarvortrag. Er präsentierte Einblicke in die Personenzentrierte Psychotherapie und verwies auf Rogers: „Das gute Leben ist nichts für Kleinmütige.“

Alfried Längle schließlich sprach über die Probleme beim Grenzen-ziehen. Er machte uns die existentielle Bedeutung von Faulheit, Verweigerung und Aufschieben deutlich. Die erfreuliche Botschaft: „Es gibt keine Faulheit“, so Längle. Faul ist der vermeintlich Faule erst dann, wenn ihm die innere Zustimmung zum Nichtstun, zum Sein-Lassen, fehlt. Wenn ihm das Personale abhandenkommt. An einer Fallvignette zeigte Längle sehr eindrücklich, wie sich jemand in seiner Faulheit schützt, um sein Eigenstes zu retten.

Rund um die Vorträge und Workshops war auch heuer wieder viel Raum für schöne Begegnungen mit interessanten Menschen. Eine Ausbildungskandidatin aus dem südlichen Burgenland erzählte mir etwa, wie sehr sie sich gefreut habe, als sich am Freitagmorgen die Nebel lichteten und sie die Nordkette sah, denn die sanften Hügel bei ihr daheim - nun ja - diese seien eben kleiner. Sie erzählte das während der Diplomfeier. Mit lachenden Augen. Wir verspeisten währenddessen ein Stück vom Tiroler Jahrling. Es war köstlich. Manche ließen davon ab und blieben vegetarisch. Die Diplomfeier wurde umrahmt von einem berührenden Diavortrag. Die Bilder sagten mehr, als man an dieser Stelle sagen könnte. Es war sehr herzlich, wie die Diplomanden und Diplomandinnen in ihre Selbstständigkeit entlassen wurden. Das Engagement aller Leute, die mit der Organisation betraut waren, beeindruckte mich.

Noch vor dem Festabend trat der Kabarettist KOSCHUH auf die Bühne. Der Künstler kam zwei Stunden zu spät ins Haus, was kurzzeitig für Verwirrung im Publikum sorgte. Die Zwischenzeit wurde wunderbar überbrückt. Mit der Mitgliederversammlung, bei der Einstimmigkeit herrschte. Anschließend überzeugte der Poetry-Slam-Künstler durch einen Ausbruch an Kreativität und Schmäh. Für alle Daheimgebliebenen: Sein literarisches Werk ist unter dem Titel „Voulez-vous KOSCHUH avec moi?“ zu finden.

Geschlossen wurde das Symposium mit Lao-Tse: „Reich ist, wer weiß, dass er genug hat.“ Auf diesen Schlusssatz kamen sowohl Alfried Längle als auch Renate Bukovski. Und zwar unabhängig voneinander! Derselbe fernöstliche Lehrer in beiden Köpfen. Der Tiroler sagt an dieser Stelle auch gerne: „Die Kuh weiß, wann sie genug hat.“

Dr. Simon Zangerle, Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision, Innsbruck und Zams