RÜCKBLICK - Herbstsymposium in Wels 2024

Schloss_Puchberg
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Tagungsbericht: "Magic Moments" – Eine persönliche Reflexion

Magic Moments – Rhythmus und Präsenz: So lautet der Titel der diesjährigen Herbsttagung im malerischen Schloss Puchberg bei Wels. Beim ersten Lesen des Titels spüre ich sofort eine Anziehung sowie Neugierde, Lust und Lebendigkeit. Doch beim zweiten Durchlesen offenbart sich mir bereits ansatzweise die Vielschichtigkeit und Verworrenheit dieser Begriffe; die schwer fassbaren Aspekte von Rhythmus, Präsenz und den magischen Momenten in der Psychotherapie.

Diese Wahrnehmung der Komplexität und Unschärfe begleitet mich durch die gesamte Tagung, und ich merke schnell, dass das Eintauchen in diese Konzepte eine anspruchsvolle und interessante Reise wird. In ein Bild gegossen, würde ich sagen, dass sich die Erkundung dieser Themen für mich wie ein Labyrinth anfühlt – wie ein verwinkelter Ort, an dem sich Fragen häufen und Antworten oft im Nebel bleiben.

Markus Angermayr spricht zu Beginn von der Psychotherapie als Jamsession. Diese Metapher resoniert in mir. Im therapeutischen Setting improvisiert man ständig; es ist ein zartes Zusammenspiel zwischen KlientIn und TherapeutIn, das nie gleich bleibt und niemals ein festes Muster annimmt. Die Vorstellung, dass jede Sitzung ein musikalisches Erlebnis ist, in dem wir uns aufeinander einstimmen und im Dialog miteinander kommunizieren, inspiriert mich.

In dem Vortrag von Elisabeth Pittl geht es um den Begriff der Atmosphären bei Hermann Schmitz und um Gefühle, die sich im Raum ergießen. Ihre Ausführungen erinnern mich an eine wiederkehrende Vorstellung, die schon öfter in meinen Therapiesitzungen auftauchte: Eine Person betritt den Therapieraum und wirkt auf mich wie ein lebendiges Gemälde, in dem Farben und Muster wirbeln, einander berühren und neue Kompositionen bilden. Eine Symbiose aus Gedanken und Gefühlen, die im therapeutischen Gespräch und in der therapeutischen Beziehung zur Entfaltung kommt. Alles ist in Bewegung, im Fluss. Auch ich bin solch ein Kunstwerk, und unsere Begegnung kreiert ein neues, gemeinsames Werk – dieses Werk entsteht im Raum zwischen uns, und gleichzeitig verändern unsere Interaktionen im Zwischenraum auch das Kunstwerk in uns selbst.

Immer wieder stellt sich in den Vorträgen die Frage, was Präsenz eigentlich ist, wie wir Zugang zu ihr finden können und warum wir das überhaupt üben müssen. Sollte das nicht eigentlich schon grundsätzlich gegeben sein?

Wir touchieren mit der Hilfe von Martin Tauss buddhistische Lehren und deren Verständnis davon, wie Meditation einer von mehreren Aspekten ist, die uns dabei helfen, präsent zu sein. Und wir hören Martha Sulz über die Kraft des Atmens im Kontext des Da-Seins sprechen. Ich würde es am Ende für mich so formulieren: Wenn ich wirklich präsent bin, verschwinden Fragen und Begriffe. Ich fühle mich als Teil einer Symphonie des Lebens, bin Mitglied des Orchesters und des Tanzensembles. Ich denke nicht mehr; ich nehme wahr.

Einer meiner Lieblingsautoren, Andreas Weber, beschreibt in seinem Buch „Lebendigkeit“ eine Szene, in der er mit seiner Tochter und ihrem Hund an einem Wintertag spielt. Wenn ich diese Zeilen lese, erinnert mich das ebenso sehr an Erfahrungen des ganz präsent und lebendig-Seins. Die Zeilen lauten so:

„Wir waren ganz da. Wir waren ein Knäuel aus drei Lebewesen, das den Schnee dieses bescheidenen Parks in eine Arena der Begeisterung verwandelte. Niemand brauchte uns zu sagen, was wir zu tun hatten oder wie. Das ergab sich aus der Weisheit unserer Muskeln, unserer Sinneszellen, aus der Weisheit der kristallinen Welt, die uns trug. Wir taten etwas ganz Unnützes, nämlich das, wofür alle Wesen geschaffen sind. Wir spielten. Wir waren ganz lebendig.“[1]

Und dann ist es Zeit für den Festabend, auf den ich mich schon sehr freue, denn er verspricht die Möglichkeit zu tanzen. Zunächst verpasse ich den richtigen Moment, mich im Takt der Live-Musik des Ismael Barrios Trios zu wiegen, da ich mich noch mit dem köstlichen Essen beschäftige und mit der angenehmen Gesellschaft liebgewonnener Menschen. Doch das Leben bietet mir eine weitere Chance. Als die Band ihre Musik beendet, übernehmen die DJs von „Urlaub in Jazzolo“, und diesmal ergreife ich im rechten Augenblick die Gelegenheit. Gemeinsam mit einer Freundin und dann auch allen anderen auf der Tanzfläche tanze ich und kann nicht mit dem Lächeln aufhören.

Der Abend klingt aus und am nächsten Tag stehen weitere Impulse in Form von Workshops und Vorträgen am Programm. Zwischen den verschiedenen Beiträgen holt mich immer wieder ein Gefühl der Verwirrung ein. In diesen Momenten wird mir die Macht des Unverfügbaren bewusst. Die Dinge, die wir diskutieren – Präsenz, Rhythmus, die Magie des Da-Seins – sie sind schwer greifbar und entziehen sich uns immer wieder, sobald wir uns ihnen nähern. Ich wünsche mir zwischendurch, dass Ariadne mir endlich den Faden reicht, der mich sicher aus dem Labyrinth hinausführt.

Mein Gedankenspiel wird unterbrochen, es geht weiter. Der Workshop ist an der Reihe. Der Workshop trägt den klingenden Namen „Touch the Sound“ und wird von Ismael Barrios geleitet. Im Workshop entdecke ich, dass mein Körper an verschiedenen Stellen durch sanftes oder entschlossenes Klopfen unterschiedliche Klänge erzeugen kann. Auch wenn es mich etwas peinlich berührt, gestehe ich, dass diese Erkenntnis für mich die Enthüllung von etwas Neuem, bisher Unbekanntem ist. Die Einfachheit dieser Erkenntnis schockiert und erheitert mich gleichzeitig. Was sonst noch alles, begleitet mich seit all den Jahren treu und ich weiß dennoch nichts über dessen Existenz?

Der Vortrag von Günter Schiepek, in dessen Genuss wir nur kommen, weil er kurzfristig für einen ausgefallenen Referenten einspringt, fasziniert mich ganz besonders. Er handelt von komplexen Systemen und den Dynamiken und Veränderungsprozessen in eben genau diesen komplexen Systemen. Im Vortrag wird verdeutlicht, dass Elemente wie Chaos und Instabilität notwendig sind, um nachhaltige Veränderungsprozesse überhaupt zu ermöglichen. Die Figuren und Formen, die bei den Berechnungen und Ergebnissen der verschiedenen durchgeführten Tests zum Vorschein kommen, sind beeindruckend. Die Quintessenz des Vortrags lautet für mich: Es ist notwendig, die sichere und stabile Komfortzone zu verlassen, um wahre Transformation zu erleben.

Warum der Vergleich von Therapiegesprächen mit einer Jamsession vom Beginn der Tagung so mit mir resonierte, wird mir gegen Ende hin nun noch klarer: Beides erfordert Improvisation und das Einlassen auf den Rhythmus des Gegenübers. Jede Begegnung hat ihren eigenen Puls, und wenn wir diesen wahrnehmen, können wir uns darauf einstimmen. Das ist meiner Ansicht nach der Zauber, von dem im Titel der Tagung die Rede ist. Der Zauber des echten Zuhörens und des Teilhaben-Wollens, der Zauber des Verstanden- und Wahrgenommen-Seins, ohne weitere Absicht. Dieser Zauber ist nicht übernatürlich oder gar von einer anderen Welt, sondern eigentlich trivial. Es haftet ihm etwas Gewöhnliches an. Die Zutaten sind simpel. Das Besondere an dieser Art von Zauber ist, dass er rar geworden ist und sich nicht auf Befehl und auch nicht mit vorhersagbarer Gewissheit ereignet oder gar sich herstellen lässt. Vielleicht macht das seine Zauberhaftigkeit aus.

Noch einmal möchte ich an dieser Stelle Andreas Weber zitieren: “Und mein Herz klopft stärker, als ich begriff, dass alle emotionalen Begegnungen uns unweigerlich verwandeln. Alle Beziehungen sind Transformationen, aus denen Ich und Welt durch einander verändert hervorgehen, in denen das eine in das andere dringt und es nie mehr so sein lässt, wie es gewesen ist. Alles verändert sich, indem wir emotionalen Kontakt dazu aufnehmen. Keine Begegnung lässt uns die gleichen bleiben.” [2]

Beim Nach-Hause-Fahren denke ich noch weiter nach und lasse die gehörten Beiträge sowie das Erlebte nachwirken. Mir fällt auf, dass es auch uns nicht gelungen war, die Magie der Veränderung bringenden Wirkmächte in Therapien festzunageln und sie auf eine einfache, griffige, wiederholbare Formel herunterzubrechen. Auch wir konnten das wilde Pferd nicht einfangen, ihm kein Halfter anlegen oder es dressieren. Irgendwie bin ich froh darüber. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie das Pferd davontrabt. Ich freue mich darüber. Und es genügt mir zu wissen, dass unsere Wege sich immer wieder kreuzen werden.

[1]Andreas Weber “Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie”. 5. Auflage, 2021, S. 176

[2]Andreas Weber “Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie”. 5. Auflage, 2021, S.108-109